Eine Kultur- und Wirtschaftsgeschichte von #BIERINDERANTIKE

Eine Kultur- und Wirtschaftsgeschichte von #BIERINDERANTIKE

Organisatoren
Kerstin Droß-Krüpe, Ruhr-Universität Bochum / Universität Kassel; Kai Ruffing, Universität Kassel
Veranstaltungsort
Ruhr-Universität Bochum
PLZ
44801
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
21.06.2023 - 23.06.2023
Von
Gina Laudy, Alte Geschichte, Universität Kassel

Die Alte Geschichte fokussiert oftmals die mediterrane Welt; in Folge dessen wird im Bereich der Wirtschaftsgeschichte hauptsächlich die mediterrane Trias bestehend aus Öl, Wein und Getreide untersucht. Dass es aber auch Gebiete gab, die wichtig für die Betrachtung der Alten Geschichte sind und in denen der Weinanbau nicht möglich beziehungsweise üblich war, ist bereits bekannt. Doch fehlte bisher die wirtschaftliche Betrachtung des Grundnahrungsmittels Bier, das als Ersatz für Wein gilt. Diese Forschungslücke wollten die Veranstalter:innen Kerstin Droß-Krüpe (Bochum / Kassel) und Kai Ruffing (Kassel) bearbeiten. Dazu wurde ein größerer chronologischer und geographischer Raum gewählt, um eine umfassende Betrachtung des Biers zu gewährleisten. Bei dieser internationalen Tagung kamen nicht nur Althistoriker:innen, sondern auch Speaker aus der Altorientalistik, der Rechtswissenschaft, der Archäologie und der Mediävistik zusammen.

Nach einer Einleitung und Hinführung zum Thema durch KAI RUFFING (Kassel) begann die erste Session zum „Ancient Near East“ mit einem Vortrag von HANNES GALTER (Graz) zum Bier in der sumerischen Mythologie. Es wurde dabei festgestellt, dass in den Mythen ein ambivalentes Verhältnis zu Bier besteht. Zum einen ist es für „dummes“ Verhalten verantwortlich, zum anderen steht es aber auch für Wohlbehagen und wird in mehreren Erzählungen vom Weisheitsgott Enki konsumiert, was unter anderem auch zur Erschaffung der Menschheit führte.

Es folgte ein Vortrag von STEFANIA ERMIDORO (Venedig) zum Bier in den wirtschaftlichen Keilschrifttexten des dritten Jahrtausends vor Christus. Sie arbeitete heraus, dass Bier eine wichtige Ressource in Mesopotamien war und über das gesamte soziale Spektrum konsumiert wurde. Auch wenn es viele Nachweise für gelieferte Cerealien an Bierbrauende gibt und für Bier, das zum Beispiel an Tempel geliefert wurde, finden sich in den Keilschrifttexten keine Informationen darüber wie genau das Bierbrauen vonstattenging. Es wird vermutet, dass das Bier in Privathaushalten gebraut wurde.

Daran anschließend sprach SEBASTIAN FINK (Innsbruck) über Bier und Gaststätten in der mesopotamischen Literatur. Die Terminologie des Wirtshauses im Sumerischen legt die Verbindung zwischen Bier und Diskussion nahe, die auch in der Literatur bei Ratschlägen oder Trinkliedern auftaucht. Hier wird auch der Kneipenbesuch als Heilverfahren charakterisiert, bei dem der Kranke in die fröhliche Gesellschaft reintegriert wird und das Wirtshaus zum ominösen Ort der Verwandlung hin zur Gesundung wird.

Den letzten Vortrag der Session hielt NICOLE BRISCH (Kopenhagen) zur Schankwirtin in der mesopotamischen Bierkultur. Sie erklärte, dass bereits in der altbabylonischen Königsliste Kubaba (die Schankwirtin) von Kiš auftaucht, die 100 Jahre regiert haben soll. Auch in verschiedenen königlichen Gesetzessammlungen wird explizit die Schankwirtin genannt und es werden sozio-ökonomische Aspekte ihres Alltags geregelt. In Rechts- und Verwaltungsurkunden taucht allerdings häufiger der Schankwirt auf, was zu der Schlussfolgerung führte, dass es eine geschlechterspezifische Arbeitsteilung bei der Produktion und Distribution von Bier gegeben haben könnte. Diese soll so ausgesehen haben, dass der Mann das Bier verkaufte und die Frau es braute.

Die zweite Session mit dem Titel „classical antiquity“ begann mit dem Vortrag von DIEGO DEBRASI (Trier) zu Bier und seiner Anwendung in der antiken Medizin. Er stellte heraus, dass Bier bei Griechen und Römern eher wenig in der Medizin vorkam. Hier sei eine alkoholbasierte Diskriminierung sichtbar, da das griechische Klima gut für Weinanbau und moderaten Konsum gewesen sei und deswegen wurden Getränke aus Gegenden, in denen keine Wein angebaut werden konnte, als minderwertig betrachtet. In der römischen Spätantike und im Frühmittelalter tauchte das Bier dagegen häufiger auf. Es wurde je nach Autor sehr ambivalent betrachtet und kann gegen bestimmte Krankheiten helfen, aber auch andere verursachen. Der Referent erörterte, dass Bier als warm und beißend oder kalt und scharf charakterisiert wurde und somit als Hilfsmittel verwendet werden konnte, um die ins Ungleichgewicht gekommenen Säfte des Körpers wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

CONSTANTIN WILLEMS (Marburg) referierte daraufhin zur rechtlichen Sichtweise auf Bier. Er stellte dabei fest, dass Bier in den römischen Rechtsquellen kaum auftaucht. Erklärungen hierfür könnten sein, dass Wein auf Grund seiner guten Lagerfähigkeit als juristisches Standardbeispiel galt, Bier hingegen billig und somit ökonomisch weniger relevant gewesen sein könnte, dass Bier kurz nach der Herstellung getrunken wurde, was juristische Details wie etwa den Verfall irrelevant machte oder, dass Bier ein provinzielle Randerscheinung gewesen sein könnte.

Das Bier in der antiken Ethnographie untersuchte KERSTIN DROß-KRÜPE (Bochum / Kassel). Sie arbeitete heraus, dass Bier zunächst keine negative Bewertung fand, sondern mit den Ägyptern fest verbunden war und von den klassischen Autoren als Wein auf Gerstenbasis definiert wurde. Ab der Kaiserzeit wurde das Bier dann negativ konnotiert, galt als Zeichen der Wildheit und war die zweite Wahl nach Wein. Ein besonders interessanter Fakt, den die Referentin herausstellte, ist, dass die Biertrinker nicht am Rande der Welt zu finden waren, sondern rund um die Oikumene. Das führte dazu, dass die antiken Autoren sich quasi als umgeben von biertrinkenden Barbaren darstellten.

Der nächste Beitrag von KAI RUFFING (Kassel) behandelte Bierkonsum und -produktion im Imperium Romanum außerhalb Ägyptens. Hierbei wurde deutlich, dass Bier kein Unterschichtengetränk war, sondern heterogene Mittelschichten das Getränk konsumierten. Vor allem im militärischen Kontext belegen Quellen, dass Bier eingefordert wurde. Es lassen sich Inschriften und Abrechnungen finden, die ein hohes soziales Selbstbewusstsein von Bierhändlern nachweisen und auf einen Bierhandel im großen Stil hindeuten.

Session Nummer drei „Egypt“ wurde durch einen Vortrag von PATRICK REINARD (Trier) eröffnet, der über Bier in den griechischen Papyri der römischen Kaiserzeit sprach. Auch hier wurde festgestellt, dass die Produktion und der Verkauf von Bier durch eine soziale Mittelschicht erfolgte. Zunächst belegen die Papyri sehr viele ägyptische Namen unter den Bierhändlern. Dies änderte sich in der römischen Kaiserzeit jedoch zunehmend, da dann eher griechische Namen auftauchten. Der Referent zeigte auf, dass der überwiegend lokale Handel ein breites soziales Spektrum umfasste, wobei scheinbar genug Profit entstand, sodass die Händler davon leben konnten.

NICO DOGAER (Leuven) und DAAN SMETS (Leuven) schlossen die Session mit einem Beitrag zu Bierbrauen und Bierkonsum im hellenistischen Ägypten. Sie kamen zu dem Schluss, dass Bier den ganzen Tag über und von allen Personen, also auch von Frauen und Kindern konsumiert wurde. Die Herstellung erfolgte aus Gerste, Wasser und Hefe, die alkoholisch fermentiert wurden. Dieses Bier soll einen geringen Alkoholgehalt gehabt haben und konnte für weniger als eine Woche konserviert werden. Die Bierproduktion war vermutlich kein Familienunternehmen, zumindest lassen sich Hinweise auf staatliche Brauereien finden.

Session 4 „Beyond ,classical’ antiquity“ begann EVA ROSENSTOCK (Bonn). Sie sprach über die archäologischen Nachweise von Bieren im Mittelmeerraum und in Südwestasien. Hier stellte sie fest, dass es keinen Biomarker gibt, der eindeutig auf Bier schließen lässt, aber verschiedene Marker in Kombination können Rückschlüsse auf Bier geben. Die Bestandteile Stärke, Zucker und Malz können nachgewiesen werden. Aufgrund von Gräbern, in denen Metallstäbe mit Stärkeresten gefunden wurden, und bildlichen Darstellungen kann man auf die Nutzung von Strohhalmen schließen. Strohhalme erscheinen auch sinnvoll, da das Bier ein schäumendes Getränk war, das noch Maische enthielt, die nicht mitgetrunken werden sollte.

Es folgten die Untersuchungen von GUILLAUME ALVAR NUÑO (Alcalá), welche den Wandel der Betrachtungsweise von Bier von der römischen Kaiserzeit bis ins Frühmittelalter behandelten. Dabei zeigte er eine ambivalente Betrachtung von Bier auf, das in der Antike zunächst als unzivilisiert galt, da es aus Gerste hergestellt wurde und Gerste Futter für Tiere war. Diese Sichtweise änderte sich aber mit dem Christentum, das dem Wein eine neue Bedeutung gab. Das Bier wurde erst in Familienunternehmen hergestellt und ab dem 9. Jahrhundert auch in Klöstern. Die Sicht auf Bier wandelte sich also in christlicher Zeit zunehmend von einem Getränk für ärmere Personen und Barbaren hin zu einem sozial anerkannten Getränk.

MANUEL KAMENZIN (Bochum) und YANICK STRAUCH (Marburg) gingen zeitlich weiter und berichteten über den Herrscher und das Bier im Mittelalter. In den mittelalterlichen Quellen gibt es keine direkten Verweise auf biertrinkende Herrscher, da dort das Bild vorherrschte, dass ein trinkender Herrscher ein Säufer und somit ein schlechter Herrscher sei. Bier war dennoch ein alltägliches Nahrungsmittel und wurde in Klöstern für Frauen und Männer gebraut. Es war zolltechnisch erfasst und solche Zolleinnahmen wurden zum Beispiel auch für den Wiederaufbau der Klöster verwendet. In den Erzählungen zu Herrschern stellten die Referenten abschließend fest, dass der Bierkonsum als Extrembeispiel gilt. Entweder wird der Herrscher als sehr gemäßigt oder extremer Säufer dargestellt.

Der abschließende Vortrag wurde von ISIDOR BRODERSEN (Kassel) gehalten und beschäftigte sich mit Antikenrezeption in der Bierwerbung des 20. und 21. Jahrhunderts. Es stellte sich heraus, dass es in Deutschland sehr wenige Antikenbezüge in der Bierwerbung gibt, da diese, wenn sie einen historischen Bezug herstellt, eher das Mittelalter einbezieht. In der Werbung für Craftbeer wird man hingegen eher fündig, da hier durchaus ein Bezug zum Mythos konstruiert werden kann. Das Fazit war allerdings, dass es der Bierwerbung in Deutschland aufgrund des Reinheitsgebots erschwert wird, Rückgriffe auf die weiterzurückliegende Vergangenheit einzubringen. In anderen Ländern sind allerdings durchaus Antikenbezüge in der Bierwerbung vorhanden.

Die Tagung führte zu dem Ergebnis, dass das Bier zu allen Zeiten relevant war, einen verbindenden Charakter besitzt, der sich auch an der internationalen Gruppe der Tagungsteilnehmenden zeigte, und über eine philosophische Komponente verfügt. Die produktive Atmosphäre förderte einen regen akademischen Austausch und führte vielfach zu Denkanstößen die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte von Bier innerhalb des gesetzten Rahmens weiter zu erforschen.

Konferenzübersicht:

Opening remarks: Kai Ruffing (Kassel)

Session 1: Ancient Near East

Chair: Sebastian Fink (Innsbruck) / Kerstin Droß-Krüpe (Bochum / Kassel)

Hannes Galter (Graz): Enki, die Weisheit und das Bier. Bier als Motivator in der sumerischen Mythologie

Stefania Ermidoro (Venedig): Beer in the economical cuneiform texts from the 3rd millennium BCE

Sebastian Fink (Innsbruck): Bier und Gasstätten in der mesopotamischen Literatur

Nicole Brisch (Kopenhagen): Die Schankwirtin in der mesopotamischen Bierkultur

Session 2: ,Classical’ antiquity

Chair: Bernhard Linke (Bochum) / Neville Morley (Exeter)

Diego DeBrasi (Trier): Heilmittel oder Giftstoff? Das Bier und dessen Anwendung in der antiken Medizin

Constantin Willems (Marburg): Rechtliches zu Bier

Kerstin Droß-Krüpe (Bochum / Kassel): Bier in der antiken Ethnographie

Kai Ruffing (Kassel): Bierproduktion und -konsum im Imperium Romanum außerhalb von Ägypten

Session 3: Egypt

Chair: Christian Wendt (Bochum)

Patrick Reinard (Trier): Bier in den griechischen Papyri der römischen Kaiserzeit

Nico Dogaer & Dean Smets (Leuven): Beer brewing and beer consumption in Hellenistic Egypt

Session 4: Beyond ,classical’ antiquity

Chair: Kai Ruffing (Kassel) / Meret Strothmann (Bochum)

Eva Rosenstock (Bonn): Mus, Maische und Maß: Biere und ihr archäologischer Nachweis im Mittelmeerraum und in Südwestasien

Guillaume Alvar Nuño (Alcalá): From wine to excess, from excess to beer: Wine and beer in literary sources between the Roman imperial era and the early Middle Ages

Manuel Kamenzin (Bochum) & Yanick Strauch (Marburg): Werbung, Rausch und Abgaben. Der Herrscher und das Bier im Mittelalter

Isidor Brodersen (Kassel): Antikenrezeption in der Bierwerbung des 20. und 21. Jahrhunderts

Concluding remarks: Kerstin Droß-Krüpe (Bochum / Kassel)

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Deutsch
Sprache des Berichts